Ganz öffentlich: ja, ich schäme mich. Ob dieses Coming Out allerdings meinem Seelenfrieden dienlich ist, ich weiß nicht, aber „wenn man es mal ausgesprochen hat, ist es nur noch halb so schlimm“, sagte meine Mutter immer. Muchas gracias, Mama! Und damit sind wir schon beim Thema: Fremdsprachen. Schon das Wort impliziert, dass einem eine Sprache fremd ist. Mir scheinbar besonders. Ich erinnere mich noch gut, dass ich in der Grundschule vor Lachen fast das Bewusstsein verlor, als die Englischlehrerin „people“ sagte. „Piepel“ nannten wir in Berlin auch das kleine Ding da unten. Selbst unter Folter hätte ich dieses Wort vor der ganzen Klasse nicht aussprechen können, ohne zu platzen. Ja, ich neigte zu infantiler Albernheit, wiederum war das genau das Grundkapital, aus dem ich später meinen Beruf gemacht habe: Cartoonist. Verrückt manchmal, oder? Als ich mich in La Palma verliebte und mir 1984 ein kleines Haus bauen ließ, besuchte ich in Deutschland einen Spanischkurs in der Volkshochschule, bezahlte eine private Spanischlehrerin, bohrte mich in Wörterbücher – aber irgendwie blieb ich ganz erbärmlich zwischen „una serveza“ und „no problemo“ hängen. Ersteres brauchte ich dringend zur Flüssigkeitszufuhr, Zweiteres hatte ich von den palmerischen Bauarbeitern gelernt. Alsdann besann ich mich auf meine mimischen Stärken und kompensierte meine sprachlichen Defizite mit fuchteln und gestikulieren. Die Verkäufer auf dem Markt in Los Llanos freuten sich sichtlich, wenn dieser lange Deutsche anrückte und um ihr Gemüse tanzte, besonders wenn er Bananen oder Gurken kaufte, kreischten die Frauen vor Freude. Einkaufen bedeutet offenbar für mich noch mehr als stupides Eintüten.
Über die Jahre lernte ich viele sympathische Palmeros und Palmeras kennen, die ich leider nicht kennenlernen konnte, weil sie von mir über die Jahre nur „mui bien“ oder „hasta luego“ hörten. Zu wenig, um sich ein komplexes Bild von einem Menschen zu machen. Einige von ihnen sind schon verstorben. Ein Jammer, dass sie nie erfahren haben, wer ich war. Und umgekehrt. Meine deutsche Diaspora und die Erkenntnis, dass ich mit meiner obskuren, fremdsprachlichen Blockade nicht ganz alleine war, linderten in selbstkritischen Momenten meinen Schmerz.
Seltsamerweise empfand ich selber radebrechende Landsleute auf La Palma immer hochnotpeinlich, wie den Berliner, der im Lokal ungehalten brüllte: „Narandscha ha ick jesacht!“ Naranja. Sprachgewandten Landsleuten mit längerer Insel-Vita hingegen scheint es ein besonderes Vergnügen zu bereiten, fremdsprachgestörte Touristen oder Residenten mit ihrem Können zu brüskieren. In einem Haushaltswarenladen (komme grad auf den spanischen Namen nicht...Ferrero? Fe-Fe-Ferreteria?) wollte ich mal eine Säge kaufen, hatte sogar Langenscheidts Deutsch-Spanisch dabei, aber der Verkäufer verstand nur Bahnhof; den wollte ich aber nicht. Ein blonder Germane neben mir half mir spürbar angewidert im perfekten Spanisch, was er anschließend zu dem Verkäufer sagte, las ich in seiner Mimik: „Typisch deutsch.“ Er punktete bei dem Einheimischen auf meine Kosten. Typisch Deutsch. Aber ich hatte es nicht anders verdient. Gestern brachte mir in meinem nordfriesischen Dorf ein Kurierfahrer ausländischer Herkunft ein Paket. Er zeigte mir stumm, wo ich auf dem digitalen Scanner unterschreiben muss und sagte dann zum Abschied „Tschuss!“ Ich dachte, verdammt, lern‘ mal gefälligst Deutsch.