La Palma, 7.00 Uhr morgens in Puerto Naos. Familie Müller-Lindemann zelebriert den Beginn des ersten Urlaubstages in der Ferienanlage mit ausgiebigem Schlaf. Nach dem Stress der Anreise mit nicht vorhandener Beinfreiheit, dem Gequengel der Kinder anderer Leute im Rücken und dem Gedrängel und Geschiebe am Gepäckband in der Flughafenankunftshalle ist erst mal Ruhe angesagt. Hiltrud M.: „Meine Arbeit als Postzustellerin wird immer anstrengender. Dauernd wechseln die Bezirke, immer mehr Briefe werden von Privatzustellern abgewickelt. Wir schleppen immer mehr Päckchen und schwere Sachen, immer mehr Personal wird abgebaut, und meckern darf man auch nicht. Ich bin froh, mal 14 Tage auszukommen. Figentlich will ich nur Sonne und Faulsein genießen und mir mal das Essen vorsetzen lassen.“
Bei Familie Rodríguez González in Tijarafe herrscht um diese Zeit schon rege Geschäftigkeit. Der 15-jährige Juan muss sich schon um 6.50 Uhr in Bewegung setzen, um den Bus nicht zu verpassen, der ihn zum Instituto Eusebio Barreto Lorenzo bringt, dem Gymnasium in Los Llanos. Maricarmen, die 11-jährige Tochter, hat noch ein bisschen Zeit, bevor sie sich auch aufmacht, den steilen Weg vom Haus hoch zur carretera, wo der Schulbus sie mitnimmt zur Schule in Tijarafe. Ihr Schultag ist länger als der ihres Bruders, denn sie hat auch noch nachmittags Unterricht. Mutter Gloria schmiert wie Generationen vor ihr die Schulbrote und besteht energisch darauf, dass die Kinder sie auch mitnehmen. Juan ist das peinlich, ist es doch wesentlich cooler, sich in der Pause ein bocadillo zu kaufen. Aber das müsste er vom Taschengeld bezahlen, und das ist knapp. Wenn seine Mutter nicht mitverdienen würde als Putzfrau im Hotel, könnten seine Eltern ihm nicht einmal das Taschengeld bezahlen. Vater Antonio ist bei den Ziegen im Stall. Erst die Tiere füttern, dann setzt er sich auf einen Kaffee an den Küchentisch. Für seine tägliche Wanderung mit seinen Ziegen nimmt er wie immer etwas Brot, Gofio und eine Dose Thunfisch mit.
Helmut und Erika sitzen zur selben Zeit am winzigen Tischchen ihres Wohnmobils. Sie haben vor ein paar Monaten in Wiesbaden alle Zelte abgebrochen, die Sparbücher geplündert und sind ab nach La Palma. Vielleicht ein kleines Häuschen mieten, später eventuell kaufen. Tomaten züchten, ein bisschen Geld verdienen und Sonne, Strand und Sternenhimmel genießen. Über Bekannte, die Leute kennen, die Leute suchen, sind sie an eine deutsche Familie in El Paso geraten, die dringend einen Gärtner und eine Putzhilfe sucht. Also haben Helmut und Erika sich erst einmal abgeschminkt, in ihren erlernten Berufen als Automechaniker und Erzieherin einen Job zu finden. Eigentlich wollten Sie ja nur vom eigenen Anbau im Garten leben. Aber erst mal alles mögliche machen, damit der Geldbeutel praller wird. Heute wollen sie sich um 9.00 Uhr in El Paso vorstellen. Hoffentlich klappt es, denn die Euphorie der ersten Wochen ist vorbei, und von Sonne, Strand und Sternenhimmel wird der Magen nicht voll, und vom Verkauf der Grünkernbratlinge können sie nicht leben. Helmut kennt sich ganz gut aus in der Caldera, und manchmal kann er sich als Wanderführer etwas Geld dazuverdienen. Das klappt aber auch nur dann, wenn die Buchungen so zahlreich sind, dass die festangestellten Wanderführer zusätzliche Hilfe benötigen. Ab und zu fällt ein Job für ihn dabei ab.
12.00 Uhr, high noon auf La Palma. In Puerto Naos schwitzen die Müller-Lindemanns am Strand. Schließlich will man braun nach Hause kommen, und am besten gleich die erste pralle Mittagssonne nutzen. Der Begrüßungs-Check-in im Hotel schwingt noch leise im Magen vor sich hin, zur Calderawanderung und die Nordtour haben sie sich bereits angemeldet, und für die zweite Urlaubswoche soll ein Auto her. Alles paletti, dann dösen Sie mal weiter ... später wollen die beiden dann eine palmerische Tapa probieren; diese kleinen Leckereien gibt es ja hier überall in den Restaurants an der Strandpromenade.
Antonio, Sie erinnnern sich, der mit den Ziegen in Tijarafe, ist um 12.00 Uhr mittags schon wieder auf dem Rückweg mit seiner 20-köpfigen Herde. Täglich geht er mit den Vierbeinern auf Fresstour in die Pampa, barranco rauf, barranco runter. Das mag idyllisch klingen, ist aber harte Knochenarbeit. Es ist heiß, die Palmeros sind in ihre Häuser geflohen. Siesta ist angesagt, aber vorher noch die Ziegen melken, anderthalb Stunden Arbeit. Die Familie produziert Ziegenkäse und verkauft die Milch an die Molkerei. Die Tiere sichern das Grundeinkommen der Familie, und außerdem ist Gloria tatkräftig dabei, durch Putzarbeiten das schmale Familienbudget aufzubessern. Aber die Busfahrt zum Hotel dauert eine Stunde, und die Putzarbeit in den Touristenzimmern ist harte Knochenarbeit. „Unglaublich, in welchem Zustand manche Leute ihre Zimmer hinterlassen. Aber ich bin ja froh, dass ich die Arbeit habe. Manchmal gibt es auch Trinkgeld.“ Nach 4 Stunden Arbeit schnell zur Bushaltestelle geeilt, zurück nach Hause. Im Bus ist Zeit für ein Schwätzchen mit Antonia, die im Nachbardorf wohnt und auch im Hotel putzt. Dann das Mittagessen, wie immer einfach. Heute gibt es papas fritas mit Spiegelei. Die alte Mutter wohnt nebenan, auch sie wird noch von Gloria versorgt, bevor sie endlich auch eine Pause einlegen kann.
Helmut und Erika haben sich das alles viel leichter vorgestellt. Aber der Hausherr ist pingelig mit seinem Gärtchen, und die Hausfrau schaut Erika laufend auf die Finger bei der elenden Putzarbeit. Aber wenigstens hat es geklappt mit dem Job, wenn auch für wenig Geld. Davon können sie zwar noch nicht leben, aber immerhin, der Anfang ist gemacht. Wenn sie weiterempfohlen werden, können sie vielleicht noch zwei bis drei Jobs mehr an Land ziehen, dann ab und zu als Wanderführer, irgendwie wird es schon gehen. Erst mal bis 14.00 Uhr hier durchhalten, trotz Hitze, aber dann geht‘s an den Strand. Dort tummeln sich auch die Hotelgäste, und manchmal sind ganz spannende Leute darunter.
18.00 Uhr auf La Palma. Müller-Lindemanns sind nach dem ersten Promenadenspaziergang zurück im Hotel, hier sammeln sich schon die Gäste zur großen Schlacht am Buffet. Morgens noch bleich, abends schon rotgebrannt, und ab geht es im schicken Outfit in die Hotelmensa. Die Auswahl ist riesig, die Teller sind überladen, der Futterneid ist groß. Danach an die Hotelbar. Erste Kontakte werden geknüpft, Erfahrungen ausgetauscht, war man schon mal hier, was sollte man gesehen haben, nein, aber was is‘ das auch für `ne schöne Insel, gell? Touristen bringen ja auch richtig Geld auf die Insel, ist doch gut für die Einheimischen, gell? „Nein, spanisch sprechen wir nicht. Wir haben bei Neckermann gebucht, ganz günstig, gell Herbert?“
Bei Rodríguez González in Tijarafe ist noch lange nicht Feierabend. Gloria hat neuen Ziegenkäse angesetzt, Tochter Maricarmen hilft, die Formen für den runden Käse zu füllen. Aber Vorsicht, es dürfen keine Luftblasen entstehen, dann darf der Käse nicht mehr verkauft werden. Nachbarn kommen und holen die tägliche Milch, und das kleine Nebenbeigeschäft mit Eiern, Milch, Avocados und Orangen bringt ein bisschen Geld in die Haushaltskasse. Das Leben ist teuer, die Kinder kosten Geld, Juan möchte einen Computer, Maricarmen neue Jeans. Gloria stellt ihre Wünsche ganz hinten an. Die alte Mutter, die eine Minimalrente erhält, kommt kaum selbst über die Runden. Brennend gerne würde die Familie auch einmal in Deutschland Urlaub machen, aber das bleibt wohl ein Traum. Antonio und seine Familie haben die Insel nur zweimal verlassen, für einen Besuch auf Teneriffa; und Abuelita, die Oma, war letzte Woche das erste Mal im neuen, großen Supermarkt in EI Paso. Ihre Tasche fest an sich gedrückt, hat sie die ungeheuren Lebensmittelmengen bestaunt – gekauft hat sie nichts.
Familie Müller-Lindemann, die Rodríguez González und Erika und Helmut kennen sich nicht. Sie leben in unterschiedlichen Welten und leben doch auf derselben Insel. Ob sie sich füreinander interessieren und wie viel Aufmerksamkeit sie einander schenken, überlassen wir ihnen.