Künstlerinnen und Künstler und solche, die sich dafür halten, gibt es viele auf La Palma, und da jeder Kunstschaffende an die Öffentlichkeit drängt, kommen wir auch in diesem Teil des Planeten, (der ja sonst nicht unbedingt zu den kulturellen Hochburgen gehört) ab und zu in den Genuss einer Vernissage. Aufregend allein schon das Wort, es schmilzt wie Vanilleeis im Mund, finden Sie nicht? Vernissage... Auch ich locke den besten aller Ehemänner gerne mal auf solch eine Veranstaltung. Er kommt überall zurecht, plaudert hier, smalltalk da, nur ich... Ich habe keine Ahnung von Kunst. Ich kann allenfalls unterscheiden zwischen Kunst, die mir gefällt, und Kunst, die mir nicht gefällt. Kunst, die mir gefällt, möchte ich entweder kaufen oder sie ist mir zu teuer. Und Kunst, die mir nicht gefällt,... na ja, da schleiche ich am Objekt vorbei und hoffe, dass mich niemand in ein Gespräch darüber verwickelt. Im Notfall könnte ich es ja zumindest anerkennen als interessant oder sicher sehr aufwendig herzustellen. Aber eigentlich bin ich auf einer Vernissage total überfordert. Ich leide schon Stunden vor dem Termin an Schweißausbrüchen, und was ziehe ich bloß an, wen treffe ich, was soll ich sagen, gibt es allgemein gültige Textbausteine, die immer richtig sind, um was geht es denn eigentlich bei dieser Ausstellung, wenn ich Expressionismus nicht mal von naiver Malerei unterscheiden kann, allerhöchstens noch erkenne, ob Aquarell- oder Ölfarben verwendet wurden, und ansonsten dumm aus der Wäsche gucke?
Kopf hoch, Mädchen, sage ich mir, ob die anderen Besucher alle große Kunstkenner sind oder auch nur so tun, weiß man nicht, wenn sie langsam durch die Ausstellungsräume schreiten und den Blick von einem Kunstwerk zum andern gleiten lassen, Brille auf, Brille ab, Arme verschränkt, drei Schritte zurücktreten, um einerseits sich selbst zu zelebrieren und andererseits einen so qualifizierten Kommentar zu murmeln, der mich vor Neid erblassen lässt... Aber es liegt nicht nur an mir, dass ich mich dann so deplatziert fühle, ehrlich nicht. Es liegt auch manchmal an der Atmosphäre der Räumlichkeiten. Waren Sie schon mal in dem Garagenkeller der Bank in der heimlichen Hauptstadt des Westens? Na ja, dann wissen Sie, was ich meine; Grabesstille oder allerhöchstens Meditationsmusik. Warum nicht mehr drumherum? So wie im Musikcafé in Los Llanos, das gefällt mir. Aber das ist ja wahrscheinlich ein Dilemma: der ausstellende Künstler möchte, dass man sich auf seine Werke konzentriert, während ich als Kunstbanause mich in Räumen wohlfühle, in denen auch Kunst stattfindet, aber eben auch noch etwas anderes. Aber Sie wissen ja schon: ich habe keine Ahnung.
Also grübele ich über den Werken: Was will mir der Künstler damit sagen? Sind manche Titel wirklich ernst gemeint? Darf ich lachen oder besser nicht? Also schleiche ich durch die Hallen und fühle mich so unwohl wie im Wartezimmer eines Arztes, wo allerdings oft zumindest noch irgendwelche Berieselungsmusik ablenkt. Hier nicht, hier bin ich gefordert. Hier soll ich kommentieren, applaudieren, mich informieren... und besser nicht blamieren. Ist mir aber auch schon passiert. Auf einem phantasievollen Gartengelände waren diverse Kunstobjekte zum Verkauf ausgestellt, aber das Teil, das mir am besten gefiel, war die Schwimmbadlampe, die nun allerdings überhaupt nicht zur Ausstellung gehörte. Mich tröstet allerdings oftmals die Schar derjenigen, die offen zugeben, von Kunst auch meine Ahnung zu haben. Ich richte ja weiter keinen Schaden an mit meiner Unkenntnis – anders als die Müllabfuhr, die doch tatsächlich ein megateures Kunstobjekt vor einem Regierungsgebäude im Zuge allgemeiner Bau- und Aufräumarbeiten abtransportierte und schredderte, einfach weil der Müllwagenfahrer Kunst als Müll identifizierte. Das geht aber nun wirklich zu weit. Obwohl auch hier einige Menschen geschmunzelt haben sollen... Vielleicht hatte ja Stefan Zweig doch Recht, als er sagte: „ Jeder Künstler gestaltet zumeist immer nur, was er versäumte zu erleben." Ach so...